Mühlviertel-Rallye:
Handicap Null
Wenn seit einiger
Zeit nicht mehr nur im Golfsport vom Handicap gesprochen
wird, liegt das wahrscheinlich an Niki Glisic jun., der
sich trotz Beinamputation als Rallyefahrer beim Publikum
einen Namen gemacht hat. Wer ihn allerdings jemals fahren
gesehen und seine Zeiten betrachtet hat, der wird daran
zweifeln, daß überhaupt ein Handicap existiert.
Würde man nicht wissen, wer den BMW M3 mit dem MAN-Löwen
auf der Seitenwand fährt, könnte man annehmen,
daß ein routinierter Profi mit jahrzehntelanger
Rallye-Erfahrung am Werk wäre, natürlich mit
zwei ganz normalen, gesunden Beinen. Keine Rede von Behinderung.
Tatsächlich fuhr Niki in Perg erst seine dritte echte
Rallye, und das nach einigen Monaten Pause, da hat man
normalerweise noch nicht alle gängigen Tricks heraußen,
um sicher UND schnell zu fahren. Umso überraschender
kam es für viele, wie gut er seinen heckgetriebenen
BMW M3 kontrollieren konnte, was von außen fast
spielerisch wirkte. Und auf einmal fand er sich sogar
im Spitzenfeld der Gruppe H wieder, direkt im Windschatten
von Heinz Andlinger mit dem VW Kitcar. Dabei war doch
vereinbart, nicht auf Zeit, sondern lediglich "Just
for Fun" zu fahren...
Während der Fun keineswegs zu kurz kam, womit von
vornherein viele gerechnet haben, waren die Zeiten doch
überraschend. Der zweite Platz in der österreichischen
H-Wertung nach dem anspruchsvollen Prolog am Freitag war
vielleicht kein gültiger Maßstab, doch im Prinzip
zeigte die Praxis, daß Niki und Beifahrer Alfred
Glaser im Ringen um Positionen alle Möglichkeiten
hatten. Die 22 Sekunden, die ihm zum Schluss auf den Drittplazierten
Markus Benes fehlten, kann man guten Gewissens dem Serienfahrwerk
anrechnen, welches das Fahrverhalten des 300-PS-Hecktriebmonsters
nicht gerade positiv beeinflußt hatte. Die Dämpfer-Feder-Elemente
waren der ungeheuren Hitze nicht gewachsen, das Auto zeigte
Anzeichen von Auftrieb, die Bodenhaftung war äußerst
kritisch. Die Serienreifen mit ihrer viel zu weichen Gummimischung
taten ihr Übriges, manchmal rollte der BMW fast schon
nur mehr auf der Leinwand. Dementsprechend wurde die Seitenführung
zum Roulettespiel, was zu einigen Drehern führte.
Niki machte aus der Not eine Tugend und vollführte
einen publikumsgerechten Achter, die Menge tobte, womit
wir wieder beim Thema "Just for Fun" wären.
An 11. Stelle Gesamt positioniert, entschloß man
sich auf Grund einiger kleiner technischer Probleme und
Unklarheiten bezüglich der Ergebnislisten und deren
Klassenunterteilung, bei den letzten beiden Sonderprüfungen
etwas das Gas weg zu nehmen, um auch sicher ins Ziel vor
heimischem Publikum zu kommen.
Am Ende wurde es für Niki Glisic Junior und Alfred
Glaser ein vielumjubelter fünfter Platz in der österreichischen
Gruppe H-Wertung, auch der 14. Gesamtrang kann als Qualitätsbeweis
angesehen werden. Knapp hinter ihnen positionierte sich
ein Mann, der künftig ein Klassenkonkurrent von Niki
sein könnte: Kein Geringerer als Christian Rosner
mit dem Porsche 911, der große Held der BOSCH-Rallye
und vor allem der Castrol-Rallye. Auch die Schlußattacke
von Walter Zöckl mit einem weiteren BMW M3 konnte
locker abgewehrt werden, für ihn war die Rallye eindeutig
zu früh aus.
Nikis Resümee: "Wir waren von unseren gefahrenen
Zeit selber sehr überrascht, mußten dabei aber
nicht, wie oft von anderen Fahrern behauptet, auf das
Driften verzichten, was für uns nach wie vor an 1.
Stelle steht! Wenn uns vor der Mühlviertel-Rallye
jemand gesagt hätte, daß wir sogar trotz Serien-Fahrwerk
und Serien-Reifen schneller sind als manch Mitsubishi
EVO VII & Co, hätten wir ihn ausgelacht."
Rechnet man alles zusammen, hätte die Mühlviertel-Rallye
für das Hausherren-Team Petschl-Motorsport nicht
besser laufen können. Der starke Eindruck, den das
junge BMW-Team bei seiner Heim-Rallye hinterlassen hat,
läßt bereits wieder Vorfreude auf seinen nächsten
Rallye-Einsatz aufkommen. Sollte Niki seinen Studienaufenthalt
in Oxford, wo schon Max Mosley gebüffelt hat, tatsächlich
unterbrechen, um die OMV-Waldviertel-Rallye in ihrer vollen
Pracht unter die Räder zu nehmen, können sich
die Rallyebesucher, die am letzten Oktober-Wochenende
im Waldviertel verweilen, auf eine extrastarke Vorstellung
gefaßt machen.
Zwar ist noch nichts entschieden, doch ist ziemlich sicher,
daß Niki sich spätestens zur IQ-Jännerrallye
2006 zurückmelden wird. Denn aufgeschoben ist bei
ihm nicht aufgehoben.
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